Organisation der Fastnacht2022-09-20T12:02:39+02:00

Organisation der Fastnacht

Organisation der Fastnacht

Festpraxis zwischen Lenkung und Eigendynamik

Erstürmung der Schembart-Hölle des Jahres 1539 in Nürnberg, Darstellung in einem Schembartbuch aus dem Besitz des Sebastian Schedel, 16. Jh., Los Angeles, University of California, Library, Coll. 170. Ms. 351

Von Sozialhistorikern wurde die Fastnacht der frühen Neuzeit gerne als „widerständige Praxis“, als Aufbegehren gegen bestehende Ordnungen, ja als eine Art temporäre Revolution gedeutet. Das ist so nicht richtig. Wohl kam es in der Ausgelassenheit der tollen Tage zu Normverstößen oder zur Entladung von Konfliktpotenzialen, und in dem kleinen französischen Städtchen Romans in der Dauphiné mündete der Karneval 1580 sogar tatsächlich in eine blutige Revolte. Aber Derartiges blieb die Ausnahme. Üblicherweise liefen urbane Fastnachten ganz anders ab. Da wurden zwar durchaus die Alltagsordnungen vorübergehend außer Kraft gesetzt, aber an ihre Stelle traten nicht etwa chaotische Zustände, sondern neue Spielregeln. Fastnächtliche Bräuche mit hohem Repräsentationswert für die Stadtgesellschaft wie zum Beispiel der Nürnberger Schembartlauf waren perfekt organisierte Inszenierungen, in denen jeder Akteur seine fest definierte Rolle hatte. Bilder vom Schembart-Hauptspektakel, der Erstürmung der sogenannten „Hölle“, die 1539 ein Schiff auf Rädern war, bestätigen dies.

Festpraxis zwischen Lenkung und Eigendynamik

Von Sozialhistorikern wurde die Fastnacht der frühen Neuzeit gerne als „widerständige Praxis“, als Aufbegehren gegen bestehende Ordnungen, ja als eine Art temporäre Revolution gedeutet. Das ist so nicht richtig. Wohl kam es in der Ausgelassenheit der tollen Tage zu Normverstößen oder zur Entladung von Konfliktpotenzialen, und in dem kleinen französischen Städtchen Romans in der Dauphiné mündete der Karneval 1580 sogar tatsächlich in eine blutige Revolte. Aber Derartiges blieb die Ausnahme. Üblicherweise liefen urbane Fastnachten ganz anders ab. Da wurden zwar durchaus die Alltagsordnungen vorübergehend außer Kraft gesetzt, aber an ihre Stelle traten nicht etwa chaotische Zustände, sondern neue Spielregeln. Fastnächtliche Bräuche mit hohem Repräsentationswert für die Stadtgesellschaft wie zum Beispiel der Nürnberger Schembartlauf waren perfekt organisierte Inszenierungen, in denen jeder Akteur seine fest definierte Rolle hatte. Bilder vom Schembart-Hauptspektakel, der Erstürmung der sogenannten „Hölle“, die 1539 ein Schiff auf Rädern war, bestätigen dies.

Erstürmung der Schembart-Hölle des Jahres 1539 in Nürnberg, Darstellung in einem Schembartbuch aus dem Besitz des Sebastian Schedel, 16. Jh., Los Angeles, University of California, Library, Coll. 170. Ms. 351

Festpraxis zwischen Lenkung und Eigendynamik

Von Sozialhistorikern wurde die Fastnacht der frühen Neuzeit gerne als „widerständige Praxis“, als Aufbegehren gegen bestehende Ordnungen, ja als eine Art temporäre Revolution gedeutet. Das ist so nicht richtig. Wohl kam es in der Ausgelassenheit der tollen Tage zu Normverstößen oder zur Entladung von Konfliktpotenzialen, und in dem kleinen französischen Städtchen Romans in der Dauphiné mündete der Karneval 1580 sogar tatsächlich in eine blutige Revolte. Aber Derartiges blieb die Ausnahme. Üblicherweise liefen urbane Fastnachten ganz anders ab. Da wurden zwar durchaus die Alltagsordnungen vorübergehend außer Kraft gesetzt, aber an ihre Stelle traten nicht etwa chaotische Zustände, sondern neue Spielregeln. Fastnächtliche Bräuche mit hohem Repräsentationswert für die Stadtgesellschaft wie zum Beispiel der Nürnberger Schembartlauf waren perfekt organisierte Inszenierungen, in denen jeder Akteur seine fest definierte Rolle hatte. Bilder vom Schembart-Hauptspektakel, der Erstürmung der sogenannten „Hölle“, die 1539 ein Schiff auf Rädern war, bestätigen dies.

Erstürmung der Schembart-Hölle des Jahres 1539 in Nürnberg, Darstellung in einem Schembartbuch aus dem Besitz des Sebastian Schedel, 16. Jh., Los Angeles, University of California, Library, Coll. 170. Ms. 351

Die „Compagnie de la mère folle“ von Dijon

Vorderseite der Fahne der Gesellschaft der Narrenmutter von Dijon (Infanterie Dijonnaise), 16. Jahrhundert, Dijon, Musée de la Vie bourguignonne

In manchen Städten gab es schon vor 1500 spezielle „närrische Gesellschaften“ mit oft prominenten Mitgliedern, denen die Ausrichtung der Fastnacht oblag und die auch das Jahr über Aktivitäten entfalteten. In Dijon etwa war dies die „Gesellschaft der Narrenmutter“, die „Compagnie de la mère folle“, kurz „Infanterie Dijonnaise“ genannt. Sie genoss weithin Berühmtheit, da ihr neben wohlhabenden Bürgern hohe Kleriker und bedeutende Adelige angehörten und manchmal sogar das Amt der Narrenmutter selbst von Persönlichkeiten fürstlichen Standes bekleidet wurde. Bei aller Komik der Institution waren hier also die Ordnungen innerhalb der Fastnacht mindestens genauso streng wie diejenigen des Alltags. Die Gesellschaftsfahne aus dem 16. Jahrhundert ist noch erhalten: Auf der Vorderseite zeigt sie eben die „mère folle“ in Gelb und Rot mit aufgeklappter Larve und einer Mondsichel am Gesicht, weil ja Fastnacht aufgrund des am Frühlingsvollmond orientierten Ostertermins immer um den Neumond herum liegt.

Die „Compagnie de la mère folle“ von Dijon

In manchen Städten gab es schon vor 1500 spezielle „närrische Gesellschaften“ mit oft prominenten Mitgliedern, denen die Ausrichtung der Fastnacht oblag und die auch das Jahr über Aktivitäten entfalteten. In Dijon etwa war dies die „Gesellschaft der Narrenmutter“, die „Compagnie de la mère folle“, kurz „Infanterie Dijonnaise“ genannt. Sie genoss weithin Berühmtheit, da ihr neben wohlhabenden Bürgern hohe Kleriker und bedeutende Adelige angehörten und manchmal sogar das Amt der Narrenmutter selbst von Persönlichkeiten fürstlichen Standes bekleidet wurde. Bei aller Komik der Institution waren hier also die Ordnungen innerhalb der Fastnacht mindestens genauso streng wie diejenigen des Alltags. Die Gesellschaftsfahne aus dem 16. Jahrhundert ist noch erhalten: Auf der Vorderseite zeigt sie eben die „mère folle“ in Gelb und Rot mit aufgeklappter Larve und einer Mondsichel am Gesicht, weil ja Fastnacht aufgrund des am Frühlingsvollmond orientierten Ostertermins immer um den Neumond herum liegt.

Vorderseite der Fahne der Gesellschaft der Narrenmutter von Dijon (Infanterie Dijonnaise), 16. Jahrhundert, Dijon, Musée de la Vie bourguignonne

Die Gesellschaft der Narrenmutter von Augsburg

Bemalter Zierteller einer Gesellschaft der Narrenmutter von Augsburg von 1528, Augsburg, Werkstatt von Jörg Breu d. J., Schloss Ambras b. Innsbruck, Kunstkammer, Inv. Nr. P 4955

Erst seit Kurzem ist bekannt, dass es auch in Augsburg zur Organisation des Fastnachtsgeschehens eine Narrenmutter-Gesellschaft gab, die sich offenbar am illustren Vorbild aus Dijon orientierte. An ihrer Spitze stand ein „Zunftmeister der Narren“. Er hatte unter anderem darauf zu achten, dass bei offiziellen Anlässen alle Mitglieder satzungsgemäß ihren Orden am Hals trugen, ein gold- und silbergeschmiedetes Narrenköpfchen an einer Kette. 1528 ließ sich die Gesellschaft als Prunkstück für ihre Festivitäten in der Werkstatt des Künstlers Jörg Breu d. J. einen reich mit närrischen Szenen bemalten hölzernen Zierteller von fast 80 cm Durchmesser anfertigen, dessen Motive um die Zentralfigur der Narrenmutter kreisten und der sich heute auf Schloss Ambras bei Innsbruck befindet. In den 1530er-Jahren scheint die Augsburger Gesellschaft aufgrund innerstädtischer Konflikte zerbrochen zu sein, während die „Infanterie Dijonnaise“ noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts existierte.

Die Gesellschaft der Narrenmutter von Augsburg

Erst seit Kurzem ist bekannt, dass es auch in Augsburg zur Organisation des Fastnachtsgeschehens eine Narrenmutter-Gesellschaft gab, die sich offenbar am illustren Vorbild aus Dijon orientierte. An ihrer Spitze stand ein „Zunftmeister der Narren“. Er hatte unter anderem darauf zu achten, dass bei offiziellen Anlässen alle Mitglieder satzungsgemäß ihren Orden am Hals trugen, ein gold- und silbergeschmiedetes Narrenköpfchen an einer Kette. 1528 ließ sich die Gesellschaft als Prunkstück für ihre Festivitäten in der Werkstatt des Künstlers Jörg Breu d. J. einen reich mit närrischen Szenen bemalten hölzernen Zierteller von fast 80 cm Durchmesser anfertigen, dessen Motive um die Zentralfigur der Narrenmutter kreisten und der sich heute auf Schloss Ambras bei Innsbruck befindet. In den 1530er-Jahren scheint die Augsburger Gesellschaft aufgrund innerstädtischer Konflikte zerbrochen zu sein, während die „Infanterie Dijonnaise“ noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts existierte.

Bemalter Zierteller einer Gesellschaft der Narrenmutter von Augsburg von 1528, Augsburg, Werkstatt von Jörg Breu d. J., Schloss Ambras b. Innsbruck, Kunstkammer, Inv. Nr. P 4955

Frühe Verantwortliche der Fastnacht

Strafen für unbotmäßige Fastnachtsnarren in Rottweil 1655, darunter Johann Baptista Frantz Narrenmeister, Ratsprotokoll Rottweil vom 18. Februar 1655, RPR p. 222

Wie penibel die Ordnung urbaner Fastnachten war, belegen viele Ratsprotokolle. In Rottweil beispielsweise gab es 1614 einen erbitterten Streit zwischen den Junggesellen der Bäcker und Müller auf der einen Seite und den Schmiedeknechten auf der anderen wegen der Reihenfolge im Fastnachtsumzug. Der Rat legte dann ein alternierendes Modell fest, das jeweils im ersten Jahr der einen und im nächsten der anderen Gruppe den Vortritt ließ. Die fastnächtliche Umzugsordnung war also offenbar genauso prestigebehaftet und streng geregelt wie die Prozessionsordnung an Fronleichnam. Von Anarchie und Chaos also keine Spur – im Gegenteil. Ein bemerkenswerter weiterer Hinweis findet sich Ratsprotokoll vom 18. Februar 1655. Dort wurden einige Fastnachtsakteure wegen unbotmäßigen Verhaltens an den närrischen Tagen bestraft, allen voran ein gewisser „Johann Baptista Frantz, Narrenmeister“. Offenbar gab es also auch in Rottweil schon früh die Position eines Hauptverantwortlichen der Fastnacht.

Frühe Verantwortliche der Fastnacht

Wie penibel die Ordnung urbaner Fastnachten war, belegen viele Ratsprotokolle. In Rottweil beispielsweise gab es 1614 einen erbitterten Streit zwischen den Junggesellen der Bäcker und Müller auf der einen Seite und den Schmiedeknechten auf der anderen wegen der Reihenfolge im Fastnachtsumzug. Der Rat legte dann ein alternierendes Modell fest, das jeweils im ersten Jahr der einen und im nächsten der anderen Gruppe den Vortritt ließ. Die fastnächtliche Umzugsordnung war also offenbar genauso prestigebehaftet und streng geregelt wie die Prozessionsordnung an Fronleichnam. Von Anarchie und Chaos also keine Spur – im Gegenteil. Ein bemerkenswerter weiterer Hinweis findet sich Ratsprotokoll vom 18. Februar 1655. Dort wurden einige Fastnachtsakteure wegen unbotmäßigen Verhaltens an den närrischen Tagen bestraft, allen voran ein gewisser „Johann Baptista Frantz, Narrenmeister“. Offenbar gab es also auch in Rottweil schon früh die Position eines Hauptverantwortlichen der Fastnacht.

Strafen für unbotmäßige Fastnachtsnarren in Rottweil 1655, darunter Johann Baptista Frantz Narrenmeister, Ratsprotokoll Rottweil vom 18. Februar 1655, RPR p. 222

Raffiniert ausgeklügelte Spielregeln

Titelseite des Narrengerichtsbuchs von Grosselfingen, 1. Hälfte 18. Jh., Abschrift des verschollenen Statutenbuchs von 1605 mit Ergänzungen von 1719 und 1740, Grosselfingen, Archiv des amtierenden Narrenvogts

Von der genauen Regulierung der Fastnacht zeugt ebenso das Narrengericht in Grosselfingen. Dort existiert ein handgeschriebenes Buch aus dem 18. Jahrhundert, das offenbar die Abschrift eines verschollenen Vorgängerbuchs von 1605 ist. Es listet sämtliche Handlungsteile und Spielrollen auf und enthält zahlreiche Sprech- und Liedtexte, die bis heute verbindlich sind. Ein weiteres Beispiel also für die penible Ordnung in der Fastnacht, wobei die Regelungen hier freilich noch differenzierter sind. Neben der strengen Mahnung auf der einen Seite, keine Kerntexte zu verändern, gewährt das Grosselfinger Regiebuch nämlich klugerweise auf der anderen Seite doch auch einen begrenzten Raum für Improvisation. So dürfen die Inhaber der sogenannten Gassenrollen und die unmittelbar Gerichtsbeteiligten ihre Texte jeweils frei formulieren, um aktuell agieren zu können, während andere Rollen dies nicht erlauben. Das Erfolgsrezept besteht somit in einer raffinierten Mischung aus repetitiven und innovativen Elementen, aus Reglementierung und Spontaneität.

Raffiniert ausgeklügelte Spielregeln

Von der genauen Regulierung der Fastnacht zeugt ebenso das Narrengericht in Grosselfingen. Dort existiert ein handgeschriebenes Buch aus dem 18. Jahrhundert, das offenbar die Abschrift eines verschollenen Vorgängerbuchs von 1605 ist. Es listet sämtliche Handlungsteile und Spielrollen auf und enthält zahlreiche Sprech- und Liedtexte, die bis heute verbindlich sind. Ein weiteres Beispiel also für die penible Ordnung in der Fastnacht, wobei die Regelungen hier freilich noch differenzierter sind. Neben der strengen Mahnung auf der einen Seite, keine Kerntexte zu verändern, gewährt das Grosselfinger Regiebuch nämlich klugerweise auf der anderen Seite doch auch einen begrenzten Raum für Improvisation. So dürfen die Inhaber der sogenannten Gassenrollen und die unmittelbar Gerichtsbeteiligten ihre Texte jeweils frei formulieren, um aktuell agieren zu können, während andere Rollen dies nicht erlauben. Das Erfolgsrezept besteht somit in einer raffinierten Mischung aus repetitiven und innovativen Elementen, aus Reglementierung und Spontaneität.

Titelseite des Narrengerichtsbuchs von Grosselfingen, 1. Hälfte 18. Jh., Abschrift des verschollenen Statutenbuchs von 1605 mit Ergänzungen von 1719 und 1740, Grosselfingen, Archiv des amtierenden Narrenvogts

Neuordnung des Festes von oben

Festordnendes Komitee in Köln 1823, Kolorierte Zeichnung, Köln, Farina Archiv

Nachdem die herkömmliche Fastnacht Ende des 18. Jahrhunderts von der Aufklärung zunehmend als nicht mehr zeitgemäß abgelehnt und durch die napoleonischen Umwälzungen sogar vielerorts zum Erliegen gekommen war, sah es um ihre Zukunft nicht gut aus. Was das städtische Bildungsbürgertum den wenigen verbliebenen Akteuren, meist jungen Burschen, zum Vorwurf machte, war eben deren Bruch mit früheren Regeln und ihr Abgleiten ins Vulgäre und Anstößige. Angesichts dieses allgemeinen Niedergangs entwickelten dann in Köln einige Honoratioren eine romantisch veredelte Feierform, die sich 1823 im ersten Umzug neuen Stils manifestierte. Bezeichnenderweise nannten sich die Organisatoren dabei „Festordnendes Komitee“. An der Wiege des rheinischen Karnevals stand somit explizit ein Ordnungsgremium und nicht etwa ein Chaosclub. Keine Spur also von „widerständiger Praxis“ oder von temporärer Revolution – Fastnacht war jetzt erst recht Ausdruck bürgerlicher Ordnung.

Neuordnung des Festes von oben

Nachdem die herkömmliche Fastnacht Ende des 18. Jahrhunderts von der Aufklärung zunehmend als nicht mehr zeitgemäß abgelehnt und durch die napoleonischen Umwälzungen sogar vielerorts zum Erliegen gekommen war, sah es um ihre Zukunft nicht gut aus. Was das städtische Bildungsbürgertum den wenigen verbliebenen Akteuren, meist jungen Burschen, zum Vorwurf machte, war eben deren Bruch mit früheren Regeln und ihr Abgleiten ins Vulgäre und Anstößige. Angesichts dieses allgemeinen Niedergangs entwickelten dann in Köln einige Honoratioren eine romantisch veredelte Feierform, die sich 1823 im ersten Umzug neuen Stils manifestierte. Bezeichnenderweise nannten sich die Organisatoren dabei „Festordnendes Komitee“. An der Wiege des rheinischen Karnevals stand somit explizit ein Ordnungsgremium und nicht etwa ein Chaosclub. Keine Spur also von „widerständiger Praxis“ oder von temporärer Revolution – Fastnacht war jetzt erst recht Ausdruck bürgerlicher

Festordnendes Komitee in Köln 1823, Kolorierte Zeichnung, Köln, Farina Archiv

Vereine als Träger der Fastnacht

Narrenchronik von Donaueschingen, begonnen 1853, Titelblatt, Bad Dürrheim, Archiv der Narrenzunft Frohsinn Bad Dürrheim

Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm das aufblühende Vereinswesen die Fastnacht in die Hand. In Südwestdeutschland, wo man sich spätestens ab den 1840er-Jahren gerne am Rheinland orientierte, waren es Vereine mit Namen wie „Frohsinn“, „Amicitia“, „Heiterkeit“ oder „Narrhalla“, die das Fastnachtsgeschehen organisierten und seinen Ablauf meist auch in illustrierten Chroniken dokumentierten, die heute wichtige Quellen sind. Der Narrenverein von Donaueschingen, der erstmals 1853 als „Frohsinn“ in Erscheinung trat und gleich eine originelle Fastnacht sogar mit Ausflug ins Nachbarstädchen Hüfingen inszenierte, führte seine Chronik ab 1856. Auf dem Titelblatt zeigt diese, von Rankenwerk und Figürchen umgeben, einen Donaueschinger Hansel mit seinem Gretle – ein Paar, das damals offenbar schon lange bekannt war und das bis heute so auftritt. Bemerkenswert ist hier, dass trotz der karnevalesken Einflüsse vom Rhein die überlieferten örtlichen Maskengestalten keineswegs ganz verdrängt waren.

Vereine als Träger der Fastnacht

Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm das aufblühende Vereinswesen die Fastnacht in die Hand. In Südwestdeutschland, wo man sich spätestens ab den 1840er-Jahren gerne am Rheinland orientierte, waren es Vereine mit Namen wie „Frohsinn“, „Amicitia“, „Heiterkeit“ oder „Narrhalla“, die das Fastnachtsgeschehen organisierten und seinen Ablauf meist auch in illustrierten Chroniken dokumentierten, die heute wichtige Quellen sind. Der Narrenverein von Donaueschingen, der erstmals 1853 als „Frohsinn“ in Erscheinung trat und gleich eine originelle Fastnacht sogar mit Ausflug ins Nachbarstädchen Hüfingen inszenierte, führte seine Chronik ab 1856. Auf dem Titelblatt zeigt diese, von Rankenwerk und Figürchen umgeben, einen Donaueschinger Hansel mit seinem Gretle – ein Paar, das damals offenbar schon lange bekannt war und das bis heute so auftritt. Bemerkenswert ist hier, dass trotz der karnevalesken Einflüsse vom Rhein die überlieferten örtlichen Maskengestalten keineswegs ganz verdrängt waren.

Narrenchronik von Donaueschingen, begonnen 1853, Titelblatt, Bad Dürrheim, Archiv der Narrenzunft Frohsinn Bad Dürrheim

Traditionsbewusstsein der Narrenzünfte

Überlinger Narrenbuch, begonnen 1863, Eintrag von 1884, Überlingen, Archiv der Narrenzunft Überlingen / Stadtarchiv

Auch in Überlingen hieß der 1863 gegründete erste Trägerverein der Fastnacht „Frohsinn“. Das von ihm angelegte „Narrenbuch“ zeigt, wie wichtig den Verantwortlichen spätestens ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts der Traditionsgedanke war, der schließlich im Südwesten auch zur Abkehr vom Karneval und zur Rückbesinnung auf die alten Fasnetsgestalten der Region führte. Der Eintrag von 1884 in der Überlinger Chronik besagt sogar ausdrücklich, er wolle den Nachkommen dabei helfen, „daß sie thun, wie ihre Väter thaten“. Ab den 1890er-Jahren nannten sich die Fastnachtsvereine dann nach „altdeutschem“ Vorbild vermehrt „Narrenzünfte“. Nach dem Ersten Weltkrieg erreichte der Rekurs auf das Althergebrachte schließlich seinen Höhepunkt. So heißt es etwa im 1919 verfassten Text des Rottweiler Narrenmarsches: „Und solang noch Reichsstadtblut / durch die Adern fließen tut, / feiern wir Fastnacht, / die Fastnacht in alter Pracht. / Halten hoch die Tradition, / weichen niemals ab davon.“ Fastnacht war für ihre Träger also jetzt Erbe und Verpflichtung.

Traditionsbewusstsein der Narrenzünfte

Auch in Überlingen hieß der 1863 gegründete erste Trägerverein der Fastnacht „Frohsinn“. Das von ihm angelegte „Narrenbuch“ zeigt, wie wichtig den Verantwortlichen spätestens ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts der Traditionsgedanke war, der schließlich im Südwesten auch zur Abkehr vom Karneval und zur Rückbesinnung auf die alten Fasnetsgestalten der Region führte. Der Eintrag von 1884 in der Überlinger Chronik besagt sogar ausdrücklich, er wolle den Nachkommen dabei helfen, „daß sie thun, wie ihre Väter thaten“. Ab den 1890er-Jahren nannten sich die Fastnachtsvereine dann nach „altdeutschem“ Vorbild vermehrt „Narrenzünfte“. Nach dem Ersten Weltkrieg erreichte der Rekurs auf das Althergebrachte schließlich seinen Höhepunkt. So heißt es etwa im 1919 verfassten Text des Rottweiler Narrenmarsches: „Und solang noch Reichsstadtblut / durch die Adern fließen tut, / feiern wir Fastnacht, / die Fastnacht in alter Pracht. / Halten hoch die Tradition, / weichen niemals ab davon.“ Fastnacht war für ihre Träger also jetzt Erbe und Verpflichtung.

Überlinger Narrenbuch, begonnen 1863, Eintrag von 1884, Überlingen, Archiv der Narrenzunft Überlingen / Stadtarchiv

Fastnachtsverband mit der längsten Geschichte

Protokoll über die Gründungsversammlung des Gauverbands badischer und württembergischer Narrenzünfte (seit 1930 Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte) in Villingen am 16. November 1924, Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Als in den frühen Jahren der Weimarer Republik die Fastnacht in den Ländern Baden und Württemberg wegen der Instabilität der politischen Verhältnisse bis einschließlich 1924 verboten blieb und die Traditionsfäden nach insgesamt zehnjähriger Unterbrechung allmählich abzureißen drohten, trafen sich am 16. November 1924 in Villingen die Vertreter von 13 Narrenzünften und schlossen sich zu einem Interessenverband zusammen, der die Fastnacht als Kulturerbe gegen politischen Druck verteidigen und ihre wieder ungehinderte Ausübung ab 1925 erwirken wollte. Die Initiative hatte Erfolg. Sie legte den Grundstein für den ältesten noch heute existierenden Fastnachtsverband in Deutschland. Das Protokoll der Gründungsversammlung ist noch erhalten. Mit der Schaffung dieser Institution trat der Organisationsgrad der Fastnacht – eine historische Zäsur – auf überörtlicher Ebene in ein neues Stadium.

Fastnachtsverband mit der längsten Geschichte

Als in den frühen Jahren der Weimarer Republik die Fastnacht in den Ländern Baden und Württemberg wegen der Instabilität der politischen Verhältnisse bis einschließlich 1924 verboten blieb und die Traditionsfäden nach insgesamt zehnjähriger Unterbrechung allmählich abzureißen drohten, trafen sich am 16. November 1924 in Villingen die Vertreter von 13 Narrenzünften und schlossen sich zu einem Interessenverband zusammen, der die Fastnacht als Kulturerbe gegen politischen Druck verteidigen und ihre wieder ungehinderte Ausübung ab 1925 erwirken wollte. Die Initiative hatte Erfolg. Sie legte den Grundstein für den ältesten noch heute existierenden Fastnachtsverband in Deutschland. Das Protokoll der Gründungsversammlung ist noch erhalten. Mit der Schaffung dieser Institution trat der Organisationsgrad der Fastnacht – eine historische Zäsur – auf überörtlicher Ebene in ein neues Stadium.

Protokoll über die Gründungsversammlung des Gauverbands badischer und württembergischer Narrenzünfte (seit 1930 Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte) in Villingen am 16. November 1924, Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Schwäbisch-alemannisch: Geburt eines Begriffs

Erste gedruckte Satzung der Vereinigung badischer und württembergischer althistorischer Narrenzünfte 1924, Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Die erste gedruckte Satzung des Verbands, noch mit närrischem Zungenschlag formuliert, bald aber von deutlich nüchterneren Texten abgelöst, enthält ein paar bemerkenswerte Details. So findet sich gleich zu Beginn erstmals die Wortkombination „schwäbisch-alemannisch“, die vorher in der Brauchterminologie noch nicht gebräuchlich gewesen war. Wenn ferner davon die Rede ist, dass sich die „badischen und württembergischen … Narrenzünfte zusammengetan“ hätten, dann weist dies – wohlgemerkt in fastnächtlichem Kontext – bereits auf das spätere Bindestrich-Bundesland Baden-Württemberg voraus. Und die Verwendung des Paradoxons „althistorisch“ als Qualitätsmerkmal verrät endlich auch noch den Versuch der Distanzierung der Gründerzünfte von weniger traditionsreichen Vereinen und deutet damit auf eine nicht unproblematische verbandsinterne Unterscheidung zwischen Bräuchen erster und zweiter Klasse hin, die später noch zu heftigen Diskussionen führen sollte.

Schwäbisch-alemannisch: Geburt eines Begriffs

Die erste gedruckte Satzung des Verbands, noch mit närrischem Zungenschlag formuliert, bald aber von deutlich nüchterneren Texten abgelöst, enthält ein paar bemerkenswerte Details. So findet sich gleich zu Beginn erstmals die Wortkombination „schwäbisch-alemannisch“, die vorher in der Brauchterminologie noch nicht gebräuchlich gewesen war. Wenn ferner davon die Rede ist, dass sich die „badischen und württembergischen … Narrenzünfte zusammengetan“ hätten, dann weist dies – wohlgemerkt in fastnächtlichem Kontext – bereits auf das spätere Bindestrich-Bundesland Baden-Württemberg voraus. Und die Verwendung des Paradoxons „althistorisch“ als Qualitätsmerkmal verrät endlich auch noch den Versuch der Distanzierung der Gründerzünfte von weniger traditionsreichen Vereinen und deutet damit auf eine nicht unproblematische verbandsinterne Unterscheidung zwischen Bräuchen erster und zweiter Klasse hin, die später noch zu heftigen Diskussionen führen sollte.

Erste gedruckte Satzung der Vereinigung badischer und württembergischer althistorischer Narrenzünfte 1924, Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Sinn und Zweck des Zusammenschlusses

Vereinigung badisch-württembergischer althistorischer Narrenzünfte, Plakat für ein Narrentreffen in Rottweil, entworfen von K- F. Kaiser aus Villingen, Vorfastnachtszeit 1930 (Detail), Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Im Jahr 1924 gegründet als „Gauverband badischer und württembergischer Narrenzünfte“ und später umbenannt in „Vereinigung badisch-württembergischer althisorischer Narrenzünfte“, gab sich der Verband 1930 seinen endgültigen Namen: „Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte“, abgekürzt „VSAN“. Wichtiger noch als ihre Benennung aber war die 1928 von der Vereinigung ausgegangene Kreation einer neuen Veranstaltungsform, nämlich der sogenannten „Narrentreffen“, die bis heute an den Wochenenden vor Fastnacht in wechselnden Orten Südwestdeutschlands durchgeführt werden und Zuschauern wie Aktiven die Möglichkeit geben, einen Überblick über die Vielfalt der regionalen Bräuche und Maskengestalten zu gewinnen. Das erste Treffen dieser Art in Freiburg fand noch in einer Halle statt, ab 1929 gehörte dann jeweils ein großer gemeinsamer Umzug dazu. Ihr Hauptziel sah die Vereinigung darin, die überlieferten örtlichen Brauchformen zu wahren, ihre Pflege zu fördern und sie vor Fremdbestimmung jeder Art, nicht zuletzt vor politischer Indienstnahme etwa durch NS-Parteiorganisationen wie „Kraft durch Freude“, zu schützen.

Sinn und Zweck des Zusammenschlusses

Im Jahr 1924 gegründet als „Gauverband badischer und württembergischer Narrenzünfte“ und später umbenannt in „Vereinigung badisch-württembergischer althisorischer Narrenzünfte“, gab sich der Verband 1930 seinen endgültigen Namen: „Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte“, abgekürzt „VSAN“. Wichtiger noch als ihre Benennung aber war die 1928 von der Vereinigung ausgegangene Kreation einer neuen Veranstaltungsform, nämlich der sogenannten „Narrentreffen“, die bis heute an den Wochenenden vor Fastnacht in wechselnden Orten Südwestdeutschlands durchgeführt werden und Zuschauern wie Aktiven die Möglichkeit geben, einen Überblick über die Vielfalt der regionalen Bräuche und Maskengestalten zu gewinnen. Das erste Treffen dieser Art in Freiburg fand noch in einer Halle statt, ab 1929 gehörte dann jeweils ein großer gemeinsamer Umzug dazu. Ihr Hauptziel sah die Vereinigung darin, die überlieferten örtlichen Brauchformen zu wahren, ihre Pflege zu fördern und sie vor Fremdbestimmung jeder Art, nicht zuletzt vor politischer Indienstnahme etwa durch NS-Parteiorganisationen wie „Kraft durch Freude“, zu schützen.

Vereinigung badisch-württembergischer althistorischer Narrenzünfte, Plakat für ein Narrentreffen in Rottweil, entworfen von K- F. Kaiser aus Villingen, Vorfastnachtszeit 1930 (Detail), Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Gleichschaltungsversuch der Fastnacht in der NS-Zeit

Einladung zur Gründungsversammlung eines Bundes deutscher Karneval für den 16. Januar 1937 nach München, Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Im Jahr 1937 nahm die inzwischen auch in anderen Regionen eingetretene Entwicklung hin zu überörtlichen Organisationsformen der Fastnacht eine neue Dimension an. Für den 16. Januar jenes Jahres wurden „alle am deutschen Karneval beteiligten Stellen, Organisationen, Körperschaften und Verbände“ nach München zur Gründung eines reichsweiten „Bundes deutscher Karneval“ eingeladen. Die Initiative hierfür ging direkt vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Berlin aus, und sie stand ganz unverblümt im Zeichen der Gleichschaltung der NS-Kulturpolitik. Auf diese Weise wollte der totalitäre Staat Zugriff auf das fastnächtliche und karnevaleske Geschehen im gesamten Reich gewinnen. Dass die VSAN damals in München nur eine Nebenrolle spielte und keinen Funktionärsposten erhielt, diente ihr später zur Entlastung. Ideologisch viel ausrichten und politisch Einfluss nehmen konnte der neue Verband aber ohnedies nicht mehr, weil der Zweite Weltkrieg ab 1940 alle fastnächtlichen Aktivitäten zum Erliegen brachte.

Gleichschaltungsversuch der Fastnacht in der NS-Zeit

Im Jahr 1937 nahm die inzwischen auch in anderen Regionen eingetretene Entwicklung hin zu überörtlichen Organisationsformen der Fastnacht eine neue Dimension an. Für den 16. Januar jenes Jahres wurden „alle am deutschen Karneval beteiligten Stellen, Organisationen, Körperschaften und Verbände“ nach München zur Gründung eines reichsweiten „Bundes deutscher Karneval“ eingeladen. Die Initiative hierfür ging direkt vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Berlin aus, und sie stand ganz unverblümt im Zeichen der Gleichschaltung der NS-Kulturpolitik. Auf diese Weise wollte der totalitäre Staat Zugriff auf das fastnächtliche und karnevaleske Geschehen im gesamten Reich gewinnen. Dass die VSAN damals in München nur eine Nebenrolle spielte und keinen Funktionärsposten erhielt, diente ihr später zur Entlastung. Ideologisch viel ausrichten und politisch Einfluss nehmen konnte der neue Verband aber ohnedies nicht mehr, weil der Zweite Weltkrieg ab 1940 alle fastnächtlichen Aktivitäten zum Erliegen brachte.

Einladung zur Gründungsversammlung eines Bundes deutscher Karneval für den 16. Januar 1937 nach München, Bad Dürrheim, Archiv der VSAN

Die Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte heute

Donaueschinger Hansel (Foto: Marc Leon Schwarzer) und Logo der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte

Nachdem die Besatzungsmächte 1945 zunächst alle Vereine aufgelöst hatten, erhielt die VSAN am 24. April 1949 ihre Wiederzulassung durch die französische Militärverwaltung. Die 1950er-Jahre des Verbands waren geprägt durch Diskussionen um das Verständnis von Tradition und Abgrenzungsfragen gegenüber dem rheinischen Karneval, was sogar zu einzelnen Austritten führte. Dennoch wuchs die Vereinigung stetig und zählt heute 68 Mitgliedszünfte aus acht Landschaften einschließlich der nördlichen Schweiz. Ihre Ziele hat die VSAN in einem Leitbild formuliert. Neben ihr als ältestem Zusammenschluss gibt es mittlerweile ein gutes Dutzend weiterer Narrenverbände in Südwestdeutschland mit insgesamt über 600 Mitgliedszünften. Nimmt man die verbandlich nicht organisierten noch hinzu, so sind es rund 1.000 lokale Vereine, die heute schwäbisch-alemannische Fastnacht praktizieren, was eine ungefähre Vorstellung vom expansiven Wachstum dieser kulturellen Ausdruckform in den letzten Jahrzehnten gibt.

Die Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte heute

Nachdem die Besatzungsmächte 1945 zunächst alle Vereine aufgelöst hatten, erhielt die VSAN am 24. April 1949 ihre Wiederzulassung durch die französische Militärverwaltung. Die 1950er-Jahre des Verbands waren geprägt durch Diskussionen um das Verständnis von Tradition und Abgrenzungsfragen gegenüber dem rheinischen Karneval, was sogar zu einzelnen Austritten führte. Dennoch wuchs die Vereinigung stetig und zählt heute 68 Mitgliedszünfte aus acht Landschaften einschließlich der nördlichen Schweiz. Ihre Ziele hat die VSAN in einem Leitbild formuliert. Neben ihr als ältestem Zusammenschluss gibt es mittlerweile ein gutes Dutzend weiterer Narrenverbände in Südwestdeutschland mit insgesamt über 600 Mitgliedszünften. Nimmt man die verbandlich nicht organisierten noch hinzu, so sind es rund 1.000 lokale Vereine, die heute schwäbisch-alemannische Fastnacht praktizieren, was eine ungefähre Vorstellung vom expansiven Wachstum dieser kulturellen Ausdruckform in den letzten Jahrzehnten gibt.

Donaueschinger Hansel (Foto: Marc Leon Schwarzer) und Logo der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte

Der Bund deutscher Karneval heute

Lappenclowns in Köln (Foto: Festkomitee Kölner Karneval) und Logo des Bundes deutscher Karneval

Der Bund deutscher Karneval, der sich in scharfer Distanzierung von seinem NS-Vorgänger 1953 in Mainz neu gründete und seine Geschichte daher auch erst ab diesem Datum zählt, ist heute der größte Dachverband deutscher Fastnachts- und Karnevalsvereine. Er besteht aus 35 Landesverbänden und zählt mehr als 5300 lokale Mitgliedsvereine, womit er eigenen Schätzungen zufolge für rund 2,6 Millionen Aktive spricht, darunter etwa 700.000 Jugendliche. Unabhängig vom BDK gibt es auch im Rheinland noch weitere Verbände sowie örtliche Vereine ohne Verbandszugehörigkeit. Dies alles zusammen lässt die Breite des Kulturphänomens Fastnacht, Fasching und Karneval erahnen. Hauptziele des BDK sind die Förderung und Begleitung fastnächtlicher Bräuche, ihre Vertretung gegenüber der Politik, Jugendarbeit und die wissenschaftliche Erforschung des Kulturguts Fastnacht, die sich übrigens auch die VSAN zur Aufgabe gemacht hat. Deren Leitbild vergleichbar hat der BDK sein Selbstverständnis in einer Ethikcharta niedergelegt.

Der Bund deutscher Karneval heute

Der Bund deutscher Karneval, der sich in scharfer Distanzierung von seinem NS-Vorgänger 1953 in Mainz neu gründete und seine Geschichte daher auch erst ab diesem Datum zählt, ist heute der größte Dachverband deutscher Fastnachts- und Karnevalsvereine. Er besteht aus 35 Landesverbänden und zählt mehr als 5300 lokale Mitgliedsvereine, womit er eigenen Schätzungen zufolge für rund 2,6 Millionen Aktive spricht, darunter etwa 700.000 Jugendliche. Unabhängig vom BDK gibt es auch im Rheinland noch weitere Verbände sowie örtliche Vereine ohne Verbandszugehörigkeit. Dies alles zusammen lässt die Breite des Kulturphänomens Fastnacht, Fasching und Karneval erahnen. Hauptziele des BDK sind die Förderung und Begleitung fastnächtlicher Bräuche, ihre Vertretung gegenüber der Politik, Jugendarbeit und die wissenschaftliche Erforschung des Kulturguts Fastnacht, die sich übrigens auch die VSAN zur Aufgabe gemacht hat. Deren Leitbild vergleichbar hat der BDK sein Selbstverständnis in einer Ethikcharta niedergelegt.

Lappenclowns in Köln (Foto: Festkomitee Kölner Karneval) und Logo des Bundes deutscher Karneval

Geregeltes Vergnügen

Bändelenarro von Zell am Harmersbach, Foto: Marc Leon Schwarzer

Wer in der Fastnacht eine „widerständige Praxis“, den „temporären Bruch mit allen Ordnungen“ oder gar anarchische Züge sieht, verkennt das Fest völlig. Richtig ist, dass die närrischen Tage Spielraum bieten, dem Alltag zu entrinnen, in eine andere Rolle zu schlüpfen, Emotionen auszuleben, Narrenfreiheit zu üben, auch über die Stränge zu schlagen. Aber all dies in klar festgelegten Grenzen und eben nicht anarchisch, sondern Regeln folgend und im urbanen Bereich schon früh mit einem hohen Maß an Organisation. „Von selbst“, „von unten“ oder zufällig hat sich in der Fastnacht das Allerwenigste entwickelt. Das weitaus Meiste, insbesondere das Maskenwesen, war durch Eliten angeregt und hatte einen komplexen ideengeschichtlichen Hintergrund. Dies gilt für die Figur des Narren ebenso wie für die Teufel aus den Prozessionen. Die Erscheinungsformen der Fastnacht entsprangen nicht beliebigen Launen unterer Sozialschichten, sondern sind das Ergebnis gezielter Gestaltung, auf die seit dem 19. Jahrhundert das Bildungsbürgertum massiv Einfluss nahm.

Geregeltes Vergnügen

Wer in der Fastnacht eine „widerständige Praxis“, den „temporären Bruch mit allen Ordnungen“ oder gar anarchische Züge sieht, verkennt das Fest völlig. Richtig ist, dass die närrischen Tage Spielraum bieten, dem Alltag zu entrinnen, in eine andere Rolle zu schlüpfen, Emotionen auszuleben, Narrenfreiheit zu üben, auch über die Stränge zu schlagen. Aber all dies in klar festgelegten Grenzen und eben nicht anarchisch, sondern Regeln folgend und im urbanen Bereich schon früh mit einem hohen Maß an Organisation. „Von selbst“, „von unten“ oder zufällig hat sich in der Fastnacht das Allerwenigste entwickelt. Das weitaus Meiste, insbesondere das Maskenwesen, war durch Eliten angeregt und hatte einen komplexen ideengeschichtlichen Hintergrund. Dies gilt für die Figur des Narren ebenso wie für die Teufel aus den Prozessionen. Die Erscheinungsformen der Fastnacht entsprangen nicht beliebigen Launen unterer Sozialschichten, sondern sind das Ergebnis gezielter Gestaltung, auf die seit dem 19. Jahrhundert das Bildungsbürgertum massiv Einfluss nahm.

Bändelenarro von Zell am Harmersbach, Foto: Marc Leon Schwarzer

Fastnacht als gesellschaftliche Aufgabe

Spielkartennarro von Zell am Harmersbach, Foto: Marc Leon Schwarzer

Schon im Spätmittelalter wurden die Organisatoren der Fastnacht belangt, wenn etwas schiefging. Zahllose Strafeinträge in Ratsprotokollen beweisen es. Doch kein Vergleich zur Gegenwart: Auf den heutigen Fastnachtsfunktionären lastet eine kaum mehr zumutbare Verantwortung. Die Vorschriften der Behörden allein für Straßenumzüge werden immer länger. Beim VSAN-Narrentreffen 2020 in Bad Cannstatt umfasste das Sicherheitskonzept über 200 Druckseiten. Die dafür einstehen, sich im Ehrenamt engagieren, persönlich haften und Kraft und Zeit opfern, um Menschen ein paar fröhliche Stunden zu bereiten, verdienen höchsten Respekt. Ihr Bemühen um die Fastnacht gilt einem wertvollen ideellen Gut, das offen ist für alle, Lebensfreude schenkt, Identität stiftet und Heimat bietet. Diese Überzeugung teilen die Jecken am Rhein mit den Narren im Südwesten. Zu Recht wurden daher 2014 sowohl die schwäbisch-alemannische Fastnacht als auch der rheinische Karneval von der deutschen UNESCO-Kommission ins nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes eingetragen.

Fastnacht als gesellschaftliche Aufgabe

Schon im Spätmittelalter wurden die Organisatoren der Fastnacht belangt, wenn etwas schiefging. Zahllose Strafeinträge in Ratsprotokollen beweisen es. Doch kein Vergleich zur Gegenwart: Auf den heutigen Fastnachtsfunktionären lastet eine kaum mehr zumutbare Verantwortung. Die Vorschriften der Behörden allein für Straßenumzüge werden immer länger. Beim VSAN-Narrentreffen 2020 in Bad Cannstatt umfasste das Sicherheitskonzept über 200 Druckseiten. Die dafür einstehen, sich im Ehrenamt engagieren, persönlich haften und Kraft und Zeit opfern, um Menschen ein paar fröhliche Stunden zu bereiten, verdienen höchsten Respekt. Ihr Bemühen um die Fastnacht gilt einem wertvollen ideellen Gut, das offen ist für alle, Lebensfreude schenkt, Identität stiftet und Heimat bietet. Diese Überzeugung teilen die Jecken am Rhein mit den Narren im Südwesten. Zu Recht wurden daher 2014 sowohl die schwäbisch-alemannische Fastnacht als auch der rheinische Karneval von der deutschen UNESCO-Kommission ins nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes eingetragen.

Spielkartennarro von Zell am Harmersbach, Foto: Marc Leon Schwarzer

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