Schnecken ‒ von Narren geliebt

Schnecken ‒ von Narren geliebt

Gartenfreunde begegnen ihnen mit Argwohn; Narren (und Feinschmecker) schätzen sie: Weinbergschnecken. Einst galten sie als ideale Fastenspeise. In schlechten Zeiten dienten sie als Armeleuteessen, seit dem 19. Jahrhundert werden sie von der feinen (französischen) Küche geschätzt. Der heutige Bedarf wird aus Schneckenfarmen in Süddeutschland (Schwäbische Alb, Baden) sowie in Frankreich, in der Schweiz und in Österreich gedeckt.

Die Schneckenhäuser, das Abfallprodukt der Fastenzeit, machten sich die Narren im Südwesten zunutze. Auf die strohgeflochtenen Dreispitzhüte der Elzacher Schuttige wurden bereits vor über 100 Jahren in lockerer Reihe Schneckenhäuser aufgenäht. Der originelle Besatz diente zugleich als klapperndes Pendant für die andernorts üblichen Glöckchen. Heute ist der Besatz auf den Hüten opulent, in Form und Färbung aufeinander abgestimmt. Der Elzacher Schnecken-Schmuck wirkte offenbar stilbildend.

Der Schneckenhüslinarro gehört zu den vier klassischen Narrentypen in Zell am Harmersbach. Vorgänger (und Vorbild) der heutigen Narros ist der Überlieferung zufolge eine spontane Schöpfung eines Zeller Originals, des Gastwirtssohnes Johann Nepomuk Beck. Er zeigte sich um 1880 in einem mit Schneckenhäusern besetzten Häs und erhielt daraufhin den Spitznamen „Schneckenhans“. Gut 50 Jahre später, 1933, präsentierten dann der Blechner Ernst Thoma und sein Freund, der Wirtssohn Josef Grammelspacher, den Urtyp der heutigen Schneckenhüslinarros: Der Anzug war dicht besetzt mit den Resten der Schneckenmahlzeiten aus der elterlichen Wirtschaft, auch der schwarze Dreispitz erhielt eine Schneckenhaus-Borte. ‒ Die sehenswerten Schneckenhüslinarros sind rar; derzeit laufen an der Fastnacht in Zell zwischen 10 und 20, zu auswärtigen Treffen gehen nur wenige. Das Häs mit 2000 bis 2500 einzeln aufgenähten Schneckenhäusern ist eine fragile Pracht und wiegt immerhin fast 40 Kilo. Die Beschaffung der Häuschen ist nicht einfach; der Nachschub zur Ausbesserung fastnachtsbedingter Schäden wird heute vor allem aus badischen und elsässischen Schneckenfarmen bezogen. Jedes Gehäuse wird einzeln mit dem Zahnarztbohrer angebohrt und mit einem speziellen Industriefaden aufgenäht. Es geht sozusagen im Schneckentempo auf die nächste Fastnacht zu …

2020-08-04T13:35:43+02:0030. Juli 2020|

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