Tanz und Musik
Der Narr: Unruhe und Gottvergessenheit
Narren ignorieren das Ideal eines gottgefälligen Daseins: Sie beten nicht, sind immer in Bewegung und stiften Unruhe. Auf Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts, der ersten Blütezeit der Narrenidee in Kunst und Literatur, erscheinen Narren daher stets als rastlos herumgaukelnde Gestalten. Oft wurden sie von den Künstlern sogar in bewussten Kontrast zu vorbildlich lebenden, frommen Menschen gestellt, die gottesfürchtig sind und in sich selber ruhen. Diesen Gegensatz zwischen Weisheit und Verkehrtheit repräsentiert im Mittelalter übrigens auch das Figurenpaar Herrscher und Hoffnarr.
Unruhiger Narr, der vor einem betenden König herumtänzelt (Illustration aus einer Psalterhandschrift für Karl VIII., spätes 15. Jh., Paris, Bibliothèque Nationale)
Tanzwut unter der Eselsohrenkappe
Nicht selten zeigen bebilderte Handschriften des Spätmittelalters ganze Gruppen von Narren, die wilde Tänze mit exzentrischen Verrenkungen aufführen. Eine zu dieser Zeit besonders häufig praktizierte Form des Schautanzes war der sogenannte Moriskentanz, in dem Narren mit Eselsohrenkappe, Narrenszepter und Schellenriemen nicht fehlen durften.
Narren beim Moriskentanz vor kritischen Zuschauern, Handschrift 16. Jh., Den Haag, Rijksmuseum Meermanno-Westreenianum, 10 A 11 fol. 48 v.
Tanzen als närrische Massenhysterie
Mitunter konnte der Narrentanz sich in der Phantasie der Künstler auch zu einem alptraumhaften Massenphänomen steigern, von dem sich immer neue Teilnehmer mitreißen ließen. Eine solche närrische Tanzorgie zeigt zum Beispiel ein Kupferstich nach Pieter Bruegel. Dort scheint der Tanzrausch der Narren nicht mehr zu bremsen.
Narrentanz, Kupferstich von Pieter van der Heyden nach Pieter Bruegel, 16. Jahrhundert, Amsterdam Rijksmuseum RP-P-1895-A-18684
Bewegendes und bewegliches Fest
Fastnacht ist ein jährlich wiederkehrendes, ausgelassen gefeiertes Traditionsfest, das allein im deutschsprachigen Raum in hunderten von Städten und Gemeinden Zehntausende von Akteuren mobilisiert und Millionen von Zuschauern anlockt. Der Fastnachtstermin liegt in der siebten Woche vor dem beweglichen Osterfest, dessen Datum auf den Sonntag nach dem Frühlingsvollmond festgelegt ist und das deshalb bis zu 35 Tage schwanken kann (eine Mondphase von 28 Tagen plus maximal 7 weitere Tage). Der Dienstag vor dem Aschermittwoch, mit dem die mehrtägigen Festivitäten der Fastnacht enden, kann demnach frühestens auf den 3. Februar und spätestens auf den 9. März fallen.
Narrentanz, Kupferstich von Pieter van der Heyden nach Pieter Bruegel, 16. Jahrhundert, Amsterdam Rijksmuseum RP-P-1895-A-18684
Männertänze an Fastnacht
Wie zu den Narren selbst gehörte der Tanz auch zu den närrischen Tagen. Komplizierte Ketten- und Reigentänze prägten schon früh vor allem das Bild der städtischen Fastnacht. In Nürnberg lag das Privileg eines besonderen Tanzes beim Berufsstand der Metzger. Sie führten dort seit 1449 den sogenannten Zämertanz auf, einen Reigen, in dem sich die Teilnehmer demonstrativ an Wurstringen führten. Dass gerade die Metzger eine herausragende Rolle in der Fastnacht spielten, hatte einen einfachen, wirtschaftlichen Grund. Da sie ab Aschermittwoch während der gesamten Fastenzeit kein Fleisch mehr verkaufen konnten, waren sie sechs Wochen lang ohne Einnahmen. Daher durften sie – keineswegs nur in Nürnberg – in der Fastnacht nochmals mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machen, um ein letztes Mal ihr Geschäft anzukurbeln.
Fastnachtstanz der Metzger in Nürnberg seit 1449, Kolorierte Zeichnung aus einem Schembartbuch, 16. Jahrhundert, Berlin Staatsbibliothek, Ms. germ. 492, fol. 22v/23r
Komödianten und Musikanten aus Italien
Das Tanzen der Fastnachtsakteure – egal ob sie in der Standardnarrentracht mit Eselohrenkappe oder in berufsständischer Kleidung wie die Nürnberger Metzger auftraten – war seit jeher ein Kernbestandteil des fastnächtlichen Brauchgeschehens. Wo immer närrische oder narrenähnliche Figuren in Aktion sind, tanzen sie. Das gilt nicht nur für die Fastnachtsbräuche des deutschen Sprachraums, sondern lässt sich in ganz Europa beobachten. Die Figuren der italienischen Commedia dell‘ arte zum Beispiel, die neben ihrer Rolle auf den Theaterbühnen spätestens seit dem 17. Jahrhundert südlich der Alpen auch die wichtigsten Fastnachtsgestalten wurden, sind praktisch nur tanzend vorstellbar: Keine zeitgenössische Abbildung, auf der sie nicht musizieren und sich dazu in mehr oder weniger komischen Tanzposen präsentieren.
Tanzende Figuren der italienischen Commedia dell’arte, Kolorierter Kupferstich von Johann Balthasar Probst nach Johann Jacob Schübler, 1729, Privatbesitz
Närrische Vortänzerin beim Pariser Maskenzug
Gleiches wie für die Commedia dell‘arte gilt auch für die Fastnachtsfiguren anderer Länder: Sie tanzen leidenschaftlich. Ein Defilée von Masken des 18. Jahrhunderts aus Paris vor der Revolution, zeigt die dortige Tanzbegeisterung. Die groteske Promenade der üppigen Fastnachtstage, der »Jours grasses«, wird angeführt von einer Närrin mit Schellenkostüm und Narrenszepter, die dem seltsamen Umzug leichtfüßig voraustanzt.
Fastnachtszug in Paris nach der Revolution, kolorierter Stich, Paris 1804, Paris, Bibliothèque Nationale, Département des Estampes
Fastnacht im Marschrhythmus
An der Tradition, dass Fastnachtsnarren tanzen, hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Tanzbewegungen bis hin zu genau eingeübten Schrittfolgen sind bei traditionellen Fastnachtsumzügen für die Akteure obligatorisch. In jedem Ort des schwäbisch-alemannischen Raums bewegen sich die Narren auf eine spezielle, oft seit Generationen festgelegte Weise. Erst ihr unermüdliches ortstypisches Hüpfen, das im Dialekt als »Jucken« bezeichnet wird, sorgt für den überwältigenden Eindruck der närrischen Massenauftritte und bringt nicht zuletzt die schweren Schellen oder Rollen zum Klingen, die viele Narrentypen auf Lederriemen am Oberkörper tragen. Und erst in Verbindung mit speziell für die Fastnacht komponierten Märschen kommt es wie zum Beispiel beim Narrensprung in Rottweil zu jenem für Zuschauer wie auch für Teilnehmer grandiosen optischen und akustischen Gesamterlebnis, das man so schnell nicht vergisst.
Rottweiler Narrensprung 1912, Stadtarchiv Rottweil
Polonaise in Schömberg
In einigen südwestdeutschen Narrenhochburgen gehen die Choreographien der Fastnacht sogar soweit, dass die Aktiven in Häs und Maske einen großen gemeinsamen Tanz aufführen, der bis zu einer Stunde dauern kann. Prominentestes Beispiel hierfür ist
Schömberg bei Balingen, wo die »Polonaise«, mundartlich »Bolanes« genannt, von mehreren hundert Maskierten getanzt wird und eines der zentralen Fastnachtsereignisse ist.
Schömberger Polonaise, angeführt von großem und kleinem Husaren, Foto: Werner Mezger
Anleihen bei der Militärmusik
Tanz braucht Musik. Tatsächlich wird in der Fastnacht musiziert, seit es das Fest gibt. Waren es im Mittelalter noch einfache Instrumente, von primitiven Lärmgeräten über Rummelpott, Dudelsack, Flöte und Trommel bis zur Drehleier, die für die Narren aufspielten, wurden die Melodien der Fastnacht mit der Zeit immer anspruchsvoller. Ende des 19. Jahrhunderts, als das vorher wilde Narrenlaufen sich im bürgerlichen Zeitalter zu geordneten Umzügen formierte, bildeten sich mit den Narrenmärschen spezifische Musikstücke aus, die zum gemeinsamen Marschieren passten. Fast jeder Ort hat inzwischen seinen eigenen Narrenmarsch. Populär wurden die Narrenmärsche meist erst dadurch, dass man sie militärmusikalisch arrangierte oder gleich auf Militärmärsche zurückgriff wie etwa auf den „Altjägermarsch“.
Impressionen zur Fastnachtsmusik. Foto: Andreas Dangel
Fastnächtliche Ohrwürmer
Unter den Narrenmärschen gibt es regelrechte Klassiker. Längst sind auch einige Stadtmusiken in ihren fastnächtlichen Uniformen zu festen Größen geworden. Besonders pittoresk tritt etwa die Stadtmusik Elzach mit ihren als »Tschakos« bezeichneten spitzen Hüten auf, und der Fastnachtsmarsch, den sie spielt, gehört zu den markantesten und eingängigsten in ganz Südwestdeutschland.
Stadtmusik Elzach an Fastnacht, Foto: Ralf Siegele
Schweizer Antwort auf deutsche Märsche
Die im wilhelminischen Deutschland schnell um sich greifende Mode, das Fastnachtsgeschehen mit Marschmusik zu begleiten, stieß in der Schweiz auf wenig Gegenliebe. Angeblich als Parodie auf allzu militaristisch anmutende deutsche Zack-Zack-Musik sind daher in und um Basel die Guggemusiken entstanden, ein Schweizer Charakteristikum, bei dem anstelle von perfekt intonierten Melodien aus blitzblanken Instrumenten bewusst schräge Töne aus abenteuerlich verbeultem Blech erzeugt werden, deren Lautstärke kaum überbietbar ist – die eidgenössische Antwort auf deutsche Militärmusik.
Guggemusig, Foto: Ralf Siegele www.ralfsiegele.de