Tanz und Musik 22021-08-09T15:22:56+02:00

Tanz und Musik

Tanz und Musik

Der Fromme: Stille und Andacht

Betender Eremit, Ölgemälde von Gerrit Dou, um 1650, Minneapolis, Institute of Art

Im christlichen Mittelalter erwartete die Kirche von jedem Menschen, dass er zu bestimmten Zeiten das Tages zur Ruhe kam, sich besann, still wurde und betete.

Der Narr: Unruhe und Gottvergessenheit

Unruhiger Narr, der vor einem betenden König herumtänzelt (Illustration aus einer Psalterhandschrift für Karl VIII., spätes 15. Jh., Paris, Bibliothèque Nationale)

Narren ignorieren das Ideal eines gottgefälligen Daseins: Sie beten nicht, sind immer in Bewegung und stiften Unruhe. Auf Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts, der ersten Blütezeit der Narrenidee in Kunst und Literatur, erscheinen Narren daher stets als rastlos herumgaukelnde Gestalten. Oft wurden sie von den Künstlern sogar in bewussten Kontrast zu vorbildlich lebenden, frommen Menschen gestellt, die gottesfürchtig sind und in sich selber ruhen. Diesen Gegensatz zwischen Weisheit und Verkehrtheit repräsentiert im Mittelalter übrigens auch das Figurenpaar Herrscher und Hoffnarr.

Tanzwut unter der Eselsohrenkappe

Narren beim Moriskentanz vor kritischen Zuschauern, Handschrift 16. Jh., Den Haag, Rijksmuseum Meermanno-Westreenianum, 10 A 11 fol. 48 v.

Nicht selten zeigen bebilderte Handschriften des Spätmittelalters ganze Gruppen von Narren, die wilde Tänze mit exzentrischen Verrenkungen aufführen. Eine zu dieser Zeit besonders häufig praktizierte Form des Schautanzes war der sogenannte Moriskentanz, in dem Narren mit Eselsohrenkappe, Narrenszepter und Schellenriemen nicht fehlen durften.

Tanzen als närrische Massenhysterie

Narrentanz, Kupferstich von Pieter van der Heyden nach Pieter Bruegel, 16. Jahrhundert, Amsterdam Rijksmuseum RP-P-1895-A-18684

Mitunter konnte der Narrentanz sich in der Phantasie der Künstler auch zu einem alptraumhaften Massenphänomen steigern, von dem sich immer neue Teilnehmer mitreißen ließen. Eine solche närrische Tanzorgie zeigt zum Beispiel ein Kupferstich nach Pieter Bruegel. Dort scheint der Tanzrausch der Narren nicht mehr zu bremsen.

Die Weltkugel in Narrenhand

Narrentanz, Kupferstich von Pieter van der Heyden nach Pieter Bruegel, 16. Jahrhundert, Amsterdam Rijksmuseum RP-P-1895-A-18684

Indem die Narren sich gegenseitig an der Nase herumführen oder einander lange Nasen machen, repräsentieren sie letztlich das pessimistische Bild einer närrisch gewordenen Welt, die in allgemeiner Narrheit unterzugehen droht. Die Kugeln, die viele mit sich tragen und von denen einige schon auf dem Boden herumrollen, sollen zugleich Sinnbilder dafür sein, was geschieht, wenn die Welt in der Hand der Narren ist.

Männertänze an Fastnacht

Fastnachtstanz der Metzger in Nürnberg seit 1449, Kolorierte Zeichnung aus einem Schembartbuch, 16. Jahrhundert, Berlin Staatsbibliothek, Ms. germ. 492, fol. 22v/23r

Wie zu den Narren selbst gehörte der Tanz auch zu den närrischen Tagen. Komplizierte Ketten- und Reigentänze prägten schon früh vor allem das Bild der städtischen Fastnacht. In Nürnberg lag das Privileg eines besonderen Tanzes beim Berufsstand der Metzger. Sie führten dort seit 1449 den sogenannten Zämertanz auf, einen Reigen, in dem sich die Teilnehmer demonstrativ an Wurstringen führten. Dass gerade die Metzger eine herausragende Rolle in der Fastnacht spielten, hatte einen einfachen, wirtschaftlichen Grund. Da sie ab Aschermittwoch während der gesamten Fastenzeit kein Fleisch mehr verkaufen konnten, waren sie sechs Wochen lang ohne Einnahmen. Daher durften sie – keineswegs nur in Nürnberg – in der Fastnacht nochmals mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machen, um ein letztes Mal ihr Geschäft anzukurbeln.

Komödianten und Musikanten aus Italien

Tanzende Figuren der italienischen Commedia dell’arte, Kolorierter Kupferstich von Johann Balthasar Probst nach Johann Jacob Schübler, 1729, Privatbesitz

Das Tanzen der Fastnachtsakteure – egal ob sie in der Standardnarrentracht mit Eselohrenkappe oder in berufsständischer Kleidung wie die Nürnberger Metzger auftraten – war seit jeher ein Kernbestandteil des fastnächtlichen Brauchgeschehens. Wo immer närrische oder narrenähnliche Figuren in Aktion sind, tanzen sie. Das gilt nicht nur für die Fastnachtsbräuche des deutschen Sprachraums, sondern lässt sich in ganz Europa beobachten. Die Figuren der italienischen Commedia dell‘ arte zum Beispiel, die neben ihrer Rolle auf den Theaterbühnen spätestens seit dem 17. Jahrhundert südlich der Alpen auch die wichtigsten Fastnachtsgestalten wurden, sind praktisch nur tanzend vorstellbar: Keine zeitgenössische Abbildung, auf der sie nicht musizieren und sich dazu in mehr oder weniger komischen Tanzposen präsentieren.

Närrische Vortänzerin beim Pariser Maskenzug

Fastnachtszug in Paris nach der Revolution, kolorierter Stich, Paris 1804, Paris, Bibliothèque Nationale, Département des Estampes

Gleiches wie für die Commedia dell‘arte gilt auch für die Fastnachtsfiguren anderer Länder: Sie tanzen leidenschaftlich. Ein Defilée von Masken des 18. Jahrhunderts aus Paris vor der Revolution, zeigt die dortige Tanzbegeisterung. Die groteske Promenade der üppigen Fastnachtstage, der »Jours grasses«, wird angeführt von einer Närrin mit Schellenkostüm und Narrenszepter, die dem seltsamen Umzug leichtfüßig voraustanzt.

Fastnacht im Marschrhythmus

Rottweiler Narrensprung 1912, Stadtarchiv Rottweil

An der Tradition, dass Fastnachtsnarren tanzen, hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Tanzbewegungen bis hin zu genau eingeübten Schrittfolgen sind bei traditionellen Fastnachtsumzügen für die Akteure obligatorisch. In jedem Ort des schwäbisch-alemannischen Raums bewegen sich die Narren auf eine spezielle, oft seit Generationen festgelegte Weise. Erst ihr unermüdliches ortstypisches Hüpfen, das im Dialekt als »Jucken« bezeichnet wird, sorgt für den überwältigenden Eindruck der närrischen Massenauftritte und bringt nicht zuletzt die schweren Schellen oder Rollen zum Klingen, die viele Narrentypen auf Lederriemen am Oberkörper tragen. Und erst in Verbindung mit speziell für die Fastnacht komponierten Märschen kommt es wie zum Beispiel beim Narrensprung in Rottweil zu jenem für Zuschauer wie auch für Teilnehmer grandiosen optischen und akustischen Gesamterlebnis, das man so schnell nicht vergisst.

Polonaise in Schömberg

Schömberger Polonaise, angeführt von großem und kleinem Husaren, Foto: Werner Mezger

In einigen südwestdeutschen Narrenhochburgen gehen die Choreographien der Fastnacht sogar soweit, dass die Aktiven in Häs und Maske einen großen gemeinsamen Tanz aufführen, der bis zu einer Stunde dauern kann. Prominentestes Beispiel hierfür ist
Schömberg bei Balingen, wo die »Polonaise«, mundartlich »Bolanes« genannt, von mehreren hundert Maskierten getanzt wird und eines der zentralen Fastnachtsereignisse ist.

Anleihen bei der Militärmusik

Impressionen zur Fastnachtsmusik. Foto: Andreas Dangel

Tanz braucht Musik. Tatsächlich wird in der Fastnacht musiziert, seit es das Fest gibt. Waren es im Mittelalter noch einfache Instrumente, von primitiven Lärmgeräten über Rummelpott, Dudelsack, Flöte und Trommel bis zur Drehleier, die für die Narren aufspielten, wurden die Melodien der Fastnacht mit der Zeit immer anspruchsvoller. Ende des 19. Jahrhunderts, als das vorher wilde Narrenlaufen sich im bürgerlichen Zeitalter zu geordneten Umzügen formierte, bildeten sich mit den Narrenmärschen spezifische Musikstücke aus, die zum gemeinsamen Marschieren passten. Fast jeder Ort hat inzwischen seinen eigenen Narrenmarsch. Populär wurden die Narrenmärsche meist erst dadurch, dass man sie militärmusikalisch arrangierte oder gleich auf Militärmärsche zurückgriff wie etwa auf den „Altjägermarsch“.

Fastnächtliche Ohrwürmer

Stadtmusik Elzach an Fastnacht, Foto: Ralf Siegele

Unter den Narrenmärschen gibt es regelrechte Klassiker. Längst sind auch einige Stadtmusiken in ihren fastnächtlichen Uniformen zu festen Größen geworden. Besonders pittoresk tritt etwa die Stadtmusik Elzach mit ihren als »Tschakos« bezeichneten spitzen Hüten auf, und der Fastnachtsmarsch, den sie spielt, gehört zu den markantesten und eingängigsten in ganz Südwestdeutschland.

Schweizer Antwort auf deutsche Märsche

Guggemusig, Foto: Ralf Siegele www.ralfsiegele.de

Die im wilhelminischen Deutschland schnell um sich greifende Mode, das Fastnachtsgeschehen mit Marschmusik zu begleiten, stieß in der Schweiz auf wenig Gegenliebe. Angeblich als Parodie auf allzu militaristisch anmutende deutsche Zack-Zack-Musik sind daher in und um Basel die Guggemusiken entstanden, ein Schweizer Charakteristikum, bei dem anstelle von perfekt intonierten Melodien aus blitzblanken Instrumenten bewusst schräge Töne aus abenteuerlich verbeultem Blech erzeugt werden, deren Lautstärke kaum überbietbar ist – die eidgenössische Antwort auf deutsche Militärmusik.

Basler Fasnacht

»Guggenmusik. Basler Fasnacht 2016«, Video: Youtube | Fasnacht

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