Von Riesen und Schwellköpfen

 

Von Riesen und Schwellköpfen

 

Überdimensionierte Fastnachtsgestalten sind nicht, wie man meinen könnte, Neuerfindungen aus dem rheinischen Karneval. Grundsätzlich ist zwischen Figuren mit übergroßen (Pappmaché-)Köpfen, den klassischen Schwellköpfen, und meterhohen Riesenfiguren zu unterscheiden. Umgangs- oder Prozessionsriesen, die oftmals biblische Giganten wie Samson oder Goliath zeigen, haben ihren Ursprung in geistlichen Spielen und Prozessionen. Im Südwesten Deutschlands haben sich die Riesenfiguren zu verschiedenen lokalen Fastnachtsgestalten gewandelt.

In der bis 1806 vorderösterreichischen Donaustadt Riedlingen laufen an der Fastnacht gleich mehrere „Gole“, wie die Figuren mit überdimensionalem Kopfteil hier genannt werden. Die Fastnachtstradition ist deutlich älter als die 1865 als Narrenverein gegründete gleichnamige Narrenzunft. Der aufgrund seiner Gesichtsfarbe und des asiatischen Gesichtsausdrucks als „Gelbsucht“ bezeichnete „Ur-Gole“ ist seit 1818 in Riedlingen bezeugt. Ihm folgten 1870 der „Alte Gole“ mit buntem Waffenrock und Stadtwappen sowie 1890 der „Neue Gole“, der zusätzlich eine silbrige Schuppenrüstung trägt. Die aus Pappmaché gefertigten Köpfe sind bis zu einem Meter hoch, der geöffnete Mund dient als Sichtöffnung. 1973 erhielt der „Neue Gole“ eine Neuanfertigung aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Die Bewaffnung der Riesen besteht seit den 1920er-Jahren aus Speer (und Schild); ursprünglich waren sie mit Stecken und „Saubloder“ ausgestattet. Über die Jahrzehnte erhielten die Zentralfiguren eine Vielzahl von Begleitern, verschiedene kleine „Gole“ und 1954 sogar eine Dame „Golia“; nicht alle hatten Bestand. Dem Zeitgeist entsprechend gehörten seit den 1880er-Jahren ein Mohr und ein Löwe zur Golegruppe; die Leibgarde aus Landsknechten wurde 1954 durch neu geschaffene, grimmige Gole-Begleiter ersetzt. Das 14 Meter hohen Goletor vom Großen Narrentreffen 1956 ist als verkleinerte Replik im Museum Narrenschopf in Bad Dürrheim zu sehen.

Viel bürgerlicher kommt das „Riesenköpfige Ehepaar“ in der Kinzigstadt Haslach daher. Die beiden Figuren, ursprünglich vor allem für die Kinder eine Attraktion, wurden 1984 nach mündlicher Überlieferung und alten Fotografien durch den Haslacher Fastnachter Dieter Blau wiederbelebt. In Erinnerung an die vom Dichter Heinrich Hansjakob beschriebene ackerbürgerliche Tradition der Stadt erhielten die Figuren eine eher ländliche Kleidung. Der Mann trägt Gehrock und Zylinder, die Frau zum langen Rock einen haubenartigen Schutenhut und einen große Deckelkorb. Ihre „Schwester“, die Wolfacher Riesendame, ist übrigens eine weitaus elegantere Erscheinung.

2021-11-03T18:04:25+01:003. November 2021|

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